Hintergrund: Seit einigen Tagen wird öffentlich diskutiert, ob der Pflegegrad 1 gestrichen oder grundlegend umgebaut werden soll. Auslöser sind anhaltende Finanzierungssorgen in der sozialen Pflegeversicherung, steigende Ausgaben und der Druck, kurzfristig sichtbare Einsparungen zu erzielen. Der Pflegegrad 1 umfasst Menschen mit geringer Beeinträchtigung der Selbstständigkeit. Typische Komponenten sind der Entlastungsbetrag, niedrigschwellige Unterstützungsangebote, Beratungen und Zuschüsse für alltagsunterstützende Hilfen. Nach jüngsten Schätzungen sind bundesweit rund 860.000 Personen in PG 1 eingestuft.
Was steht zur Debatte? Im Raum stehen drei Varianten: die vollständige Streichung von PG 1, eine deutliche Einschränkung der Leistungen oder eine Umwidmung hin zu klarer Prävention, Beratung und technischen Assistenzsystemen. Befürworter einer Reduktion argumentieren, dass knappe Mittel priorisiert werden sollten und Leistungen dort ankommen müssen, wo die Pflegeintensität besonders hoch ist. Kritiker warnen vor Versorgungslücken, Verunsicherung und Folgekosten, wenn niedrigschwellige Hilfe im frühen Stadium wegfällt.
Argumente der Befürworter: Erstens könne eine Kürzung bei PG 1 kurzfristig sichtbare Entlastungen im Haushalt der Pflegeversicherung bringen. Zweitens sei die Steuerungswirkung begrenzt, weil viele Leistungen im Alltag anfallen, die auch außerhalb der Pflegeversicherung organisiert werden könnten. Drittens lasse sich Bürokratie einsparen, wenn kleinteilige Leistungsbausteine reduziert werden. Viertens könne eine klare Fokussierung auf Prävention zielgenauere Wirkung entfalten, als breit gestreute Entlastungsbeträge, die regional und organisatorisch oft schwer abrufbar sind.
Argumente der Gegner: Erstens ist PG 1 ein Frühwarnsystem: Niedrigschwellige Hilfe stabilisiert Pflegesettings zu Hause und verhindert Eskalation. Wer hier spart, riskiert höhere Kosten in höheren Pflegegraden oder im stationären Bereich. Zweitens drohen Härtefälle, wenn ohne Übergangsregeln laufende Unterstützungen entfallen. Drittens gefährdet eine abrupte Streichung das Vertrauen von Pflegebedürftigen und Angehörigen in die Planbarkeit des Systems. Viertens kann die Abschaffung die Kommunen und die soziale Infrastruktur belasten, wenn Aufgaben in andere Töpfe oder in unbezahlte Angehörigenarbeit verschoben werden.
Mögliche Kompromisse: Diskutiert wird, PG 1 zu belassen, aber konsequent auf Prävention und Beratung auszurichten. Der Entlastungsbetrag könnte stärker an nachweisbare präventive Effekte gebunden werden. Ebenfalls im Gespräch: Karenzzeiten oder reduzierte Leistungen im ersten Bezugsjahr, um kurzfristige Einsparungen zu erzielen, kombiniert mit klaren Ausnahmen für akute Pflegeereignisse (z. B. nach Schlaganfall). Schärfere Begutachtungskriterien, engere Verzahnung mit Reha und kommunalen Angeboten sowie ein Bestandsschutz für bereits Eingestufte gelten als politisch zentrale Stellschrauben.
Offene Fragen für Betroffene: Wie sähen Übergangsfristen und Bestandsschutz aus? Was passiert mit laufenden Hilfsmitteln oder genehmigten Maßnahmen? Welche präventiven Angebote treten konkret an die Stelle gestrichener Leistungen, und wie werden sie finanziert? Antworten darauf sind entscheidend, damit Familien verlässlich planen können. Solange keine Gesetzesformulierung vorliegt, empfiehlt es sich, Beratungsangebote zu nutzen, geplante Maßnahmen sorgfältig zu dokumentieren und Anträge sauber zu begründen – insbesondere mit Blick auf präventive Wirkung und Entlastung.
Einordnung: Eine komplette Streichung von PG 1 wäre ein starkes Signal – und riskant. Wahrscheinlicher erscheint ein „Umbau“ mit engerem Zuschnitt, klaren Ausnahmen und Übergangsregeln. Entscheidend wird sein, ob Prävention tatsächlich gestärkt und alltagsnah organisiert wird. Ohne belastbare Alternativen könnte eine Kürzung kurzfristig sparen, mittelfristig aber die Gesamtkosten steigern. Der politische Prozess muss daher die Balance zwischen Finanzstabilität, Versorgungssicherheit und Praxistauglichkeit halten.