Pflegegrad beantragen: Schritt für Schritt von der Antragstellung bis zur Begutachtung

18.09.2025 · Redaktion Pflegeverband.net

Warum ein Pflegegrad wichtig ist

Ein anerkannter Pflegegrad öffnet die Tür zu Leistungen der Pflegekasse und macht Unterstützungsangebote planbar. Er schafft Transparenz über den tatsächlichen Hilfebedarf, erleichtert Entscheidungen im Familienkreis und sichert die Finanzierung vieler Bausteine, vom Pflegegeld über Pflegesachleistungen bis hin zu Entlastungsangeboten und Hilfsmitteln. Der Weg dorthin wirkt auf den ersten Blick formell, lässt sich aber mit einer klaren Struktur gut bewältigen.

1. Antrag bei der Pflegekasse stellen

Der Start ist unkompliziert: Eine formlose Mitteilung an die Pflegekasse genügt, ein Anruf reicht in der Regel aus. Empfehlenswert ist zusätzlich eine kurze Bestätigung per E‑Mail oder Brief. Wichtig ist das Eingangsdatum, denn ab diesem Tag können Leistungen einsetzen. Notieren Sie Aktenzeichen, Kontaktpersonen und Kommunikationswege. Wenn eine Bevollmächtigung oder Betreuung vorliegt, legen Sie die entsprechenden Nachweise bei, damit die Kasse direkt mit Ihnen sprechen kann.

Tipp: Bitten Sie die Pflegekasse um eine Eingangsbestätigung und um die Information, welcher Begutachtungsdienst (Medizinischer Dienst bzw. privater Dienst) beauftragt wird. Das erleichtert die Terminplanung.

2. Unterlagen und Beobachtungen vorbereiten

Eine zielgerichtete Vorbereitung spart Zeit und vermeidet Nachfragen. Legen Sie die wichtigsten Arztbriefe, Therapiepläne und die aktuelle Medikamentenliste bereit. Führen Sie über mindestens zwei Wochen ein Pflegetagebuch. Darin dokumentieren Sie, welche Tätigkeiten nur mit Unterstützung gelingen, wie lange Aufgaben dauern, welche Risiken auftreten und wie sich gute und schlechte Tage unterscheiden. Diese Beobachtungen sind im Begutachtungsraster direkt verwertbar.

  • Medizinische Basis: Diagnosen, relevante Befunde, Reha‑Berichte, Entlassbriefe.
  • Alltagsfunktionen: Aufstehen, Ankleiden, Körperpflege, Ernährung, Toilettengänge, Haushaltsführung.
  • Kognition und Verhalten: Orientierung, Merkfähigkeit, Antrieb, Stimmung, nächtliche Unruhe.
  • Mobilität und Sturzrisiko: Transfers, Gehhilfen, Hilfsmittel im Einsatz, dokumentierte Stürze.

3. Begutachtung realitätsnah gestalten

Die Begutachtung findet zu Hause oder in der Einrichtung statt. Sie bildet den üblichen Alltag ab, nicht die Ausnahme. Bereiten Sie die Unterlagen vor, räumen Sie jedoch nicht „überperfekt“ auf, wenn Barrieren im Alltag eine Rolle spielen. Sagen Sie offen, was ohne Hilfe nicht funktioniert, wo Anleitung nötig ist und welche Tätigkeiten besonders anstrengend sind. Angehörige oder vertraute Personen sollten anwesend sein, um ergänzend zu schildern, wie der Tag tatsächlich abläuft.

Merken: Harmlose Sätze wie „das geht schon irgendwie“ führen oft dazu, dass Bedarf unterschätzt wird. Formulieren Sie präzise: Welche Schritte werden nicht selbstständig bewältigt? Wie häufig tritt der Bedarf auf? Welche Risiken entstehen?

4. Bescheid prüfen und gegebenenfalls reagieren

Nach der Begutachtung erhalten Sie den Bescheid mit dem festgestellten Pflegegrad. Fordern Sie das vollständige Gutachten an und gleichen Sie es mit Ihrem Pflegetagebuch ab. Prüfen Sie, ob kognitive Einschränkungen, nächtlicher Hilfebedarf, Inkontinenz oder psychische Belastungen ausreichend berücksichtigt wurden. Falls die Einstufung den Alltag nicht angemessen abbildet, ist ein Widerspruch möglich. Die Frist beträgt in der Regel einen Monat ab Zugang. Legen Sie eine strukturierte Begründung mit konkreten Beispielen und Nachweisen bei und bitten Sie um Neubewertung beziehungsweise um eine erneute Begutachtung.

5. Leistungen gezielt planen

Mit dem Pflegegrad stehen unterschiedliche Bausteine zur Verfügung. Treffen Sie früh Entscheidungen, die spürbar entlasten, und kombinieren Sie Leistungen intelligent.

  • Pflegegeld: Für selbst organisierte Unterstützung im häuslichen Umfeld.
  • Pflegesachleistungen: Für ambulante Dienste, die fest vereinbarte Tätigkeiten übernehmen.
  • Entlastungsbetrag: Für anerkannte Angebote im Alltag, etwa Haushaltshilfe oder stundenweise Betreuung.
  • Hilfsmittel: Von technischen Hilfen bis zu Verbrauchsmaterial – stets mit passender Verordnung und Dokumentation.
  • Beratung und Schulung: Pflegekurse, individuelle Beratungstermine und Wohnumfeldberatung.

6. Checkliste für eine zügige Antragstellung

  • Antragsdatum, Aktenzeichen und Kontakt in der Pflegekasse dokumentieren.
  • Pflegetagebuch über mindestens zwei Wochen führen.
  • Relevante Arztunterlagen und Medikamentenliste bereitlegen.
  • Hilfsmittel und besondere Risiken im Haushalt notieren.
  • Termin für Begutachtung bestätigen, Anwesende einplanen.

Mit guter Vorbereitung, klaren Aussagen und einer realistischen Darstellung des Alltags ist der Weg zum Pflegegrad gut machbar. Planen Sie die nächsten Schritte unmittelbar nach dem Bescheid und bauen Sie feste Routinen auf. So wirkt die Unterstützung schnell und nachvollziehbar, und alle Beteiligten gewinnen Sicherheit.

Häufige Fragen aus der Praxis

Wie schnell kommt der Termin? Das variiert regional. Wenn es eilig ist (z. B. nach Klinikentlassung), bitten Sie um eine priorisierte Begutachtung und schildern Sie kurz die Gründe. Muss die Wohnung barrierefrei sein? Nein. Zeigen Sie Barrieren, wenn sie den Alltag beeinflussen. Kann eine Vertrauensperson sprechen? Ja, und das ist oft hilfreich, um typische Tagesabläufe realistisch zu beschreiben.

Beispiel: Vorbereitung in 7 Tagen

  1. Tag 1: Antrag telefonisch stellen, Bestätigung per E‑Mail anfordern, Pflegetagebuch starten.
  2. Tag 2–3: Arztbriefe, Medikamentenplan, Hilfsmittelverordnungen zusammentragen.
  3. Tag 4: Wohnung begehbar dokumentieren: kritische Stellen notieren (Bad, Bett, Stufen).
  4. Tag 5: Checkliste fertigmachen, Anwesende für Begutachtung festlegen.
  5. Tag 6: Pflegetagebuch nachtragen, Besonderheiten markieren.
  6. Tag 7: Ordner finalisieren, offene Fragen notieren.

Rechtliche Grundlagen kompakt

Maßgeblich sind die einschlägigen Vorschriften des Sozialrechts zur Pflege. Sie regeln Antrag, Begutachtung, Fristen und die Einordnung des Hilfebedarfs. Prüfen Sie stets die aktuellen Hinweise Ihrer Pflegekasse. Wenn sich der Gesundheitszustand deutlich ändert, kann eine erneute Begutachtung beantragt werden.

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